BVerfG zum Recht in Online-Archiven: Auch Mörder haben Recht auf Löschung

Das Internet vergisst nichts – diese Erfahrung musste auch ein vor fast 40 Jahren wegen Mordes verurteilter Mann machen, als er 17 Jahre später auf einen Artikel der Zeitschrift „Der Spiegel“ stieß. Der Artikel berichtet über die damals aufsehenerregende Tat und nennt dabei den vollen Namen des heute 80-jährigen Paul T. Das wollte sich Paul T. nicht gefallen lassen, mahnte die Spiegel Online GmbH ab und erhob im Anschluss Unterlassungsklage mit dem Ziel, die Berichterstattung unter Nennung seines Familiennamens zu verbieten. Der Fall wanderte durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof und landete schließlich beim Bundesverfassungsgericht.
Der Erste Senat gab nun der Verfassungsbeschwerde des Betroffenen statt (Beschluss vom 6. November 2019, Az: 1 BvR 16/13). Zumindest hätten die Gerichte überprüfen müssen, ob dem „Spiegel“ nicht andere Maßnahmen zumutbar waren, um die Persönlichkeitsrechte des Mannes zu wahren.
Paul T. war im Jahre 1982 wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte an Bord der Yacht „Apollonia“ auf hoher See zwischen den Kanaren und der Karibik im Dezember 1981 zwei Menschen erschossen und einen weiteren schwer verletzt. Im Jahr 2002 wurde er nach 17 Jahren aus der Haft entlassen.
Der Fall löste seinerzeit ein großes Medienecho aus. „Der Spiegel“ veröffentlichte in den Jahren 1982 und 1983 in seiner gedruckten Ausgabe drei Artikel über die Tat und nannte dabei den vollen Namen von Paul T.
Seit 1999 sind die Berichte in einem Online-Archiv des „Spiegels“ frei zugänglich abrufbar. Bei Eingabe des Namens des Mannes in einer gängigen Suchmaschine landen die Artikel unter den ersten Treffern.
Daraufhin wandte er sich zunächst an das LG Bremen, das ihm einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823, 1004 BGB analog zusprach. Die angegriffene Veröffentlichung verletze ihn rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Der BGH hatte schließlich mit Urteil vom 13. November 2012 auf die Revision der Beklagten einen Unterlassungsanspruch verneint. Diesem Urteil hat das BVerfG nunmehr eine Absage erteilt.
Die Kanzlei Schweizer will das Urteil derzeit noch nicht kommentieren. Zur Begründung: Es wird ohnehin eine Lawine von Äußerungen im Schrifttum ebenso folgen wie von Anwendungen in der Rechtsprechung. So kommentiert beispielsweise am 28. November, die „SZ“ unter anderem: Das BVerfG „nimmt eine grundlegend neue Grenzziehung zur Anwendbarkeit nationaler und europäischer Grundrechte vor. Immer dann, wenn europäisches Recht nicht ‚vollharmonisiert‘ ist, sondern nationale Spielräume lässt, kommen dem Karlsruher Gericht zufolge primär die Grundrechte des Grundgesetzes zur Anwendung. Denn dort, wo die Europäische Union den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume einräume, ziele EU-Recht eben nicht auf europaweite ‚Einheitlichkeit‘, sondern auf die Vielfalt unterschiedlicher Rechtskulturen.“
• www.wbs-law.de / schweizer.eu / rundy