EuGH stärkt Rechte von Reisenden: Verarbeitung von Fluggastdaten nur bei Terrorgefahr
(…) Die Speicherung von Fluggastdaten stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht des Privat- und Familienlebens dar. Deshalb müsse diese auf das zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung absolut Notwendige beschränkt werden, so der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 21.06.2022, Az. C-817/19).
Recht auf Privatleben und Datenschutz verletzt?
Seit 2016 gibt es die europäische Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (2016/681 (EU)) zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität. Diese schreibt die systematische Verarbeitung einer großen Zahl von PNR-Daten (Passager Name Record) der Fluggäste von Flügen zwischen der Union und Drittstaaten (Drittstaatsflüge) bei der Einreise in die bzw. der Ausreise aus der Union vor. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten diese Richtlinie nach ihrem Art. 2 auch auf Flüge innerhalb der Union (EU-Flüge) anwenden.
Die belgische Menschenrechtsorganisation Ligue des droits humains (Liga für Menschenrechte, LDH) erhob im Juli 2017 vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof Nichtigkeitsklage gegen das Gesetz, mit dem die Richtlinie in belgisches Recht umgesetzt wurde. Dieses sieht unter anderem vor, dass Flug-, Bahn-, Bus-, Fähr- und Reiseunternehmen die Daten aller Passagiere, die sich über die Landesgrenze bewegen, an eine Zentralstelle weitergegeben müssen, von der aus Polizei und Geheimdienste auf die Daten zugreifen können.
Die LDH machte geltend, dieses Gesetz verletze das im belgischen Recht und im Unionsrecht garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. Sie rügte den sehr großen Umfang der PNR-Daten sowie den allgemeinen Charakter ihrer Erhebung, Übermittlung und Verarbeitung. Außerdem schränke das Gesetz die Freizügigkeit ein, da mit ihm durch die Ausdehnung des „PNR-Systems“ auf EU-Flüge sowie auf Beförderungen mit anderen Mitteln innerhalb der Union indirekt wieder Grenzkontrollen eingeführt würden.
Im Oktober 2019 hat der belgische Verfassungsgerichtshof dem EuGH zehn Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die u. a. die Gültigkeit der PNR-Richtlinie sowie die Vereinbarkeit des Gesetzes vom 25. Dezember 2016 mit dem Unionsrecht betreffen.
Richtlinie grundsätzlich mit Grundrechten vereinbar
Diese Fragen beantwortete der EuGH nun und stellte in seinem Urteil zunächst fest, dass die PNR-Richtlinie einen schweren Eingriff in das Grundrecht des Privat- und Familienlebens darstelle, aber gleichwohl mit europäischen Grundrechten vereinbar sei. Die in der Richtlinie vorgesehenen Befugnisse seien indes eng auszulegen, um bei der Übermittlung, Verarbeitung und Speicherung von PNR-Daten zum Zwecke der Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Das durch die PNR-Richtlinie eingeführte System dürfe sich nur auf die im Anhang ausdrücklich genannten Informationen erstrecken. Es müsse auf terroristische Straftaten und schwere Kriminalität mit einem – zumindest mittelbaren – objektiven Zusammenhang mit der Beförderung von Fluggästen beschränkt werden. Die Ausdehnung der Anwendung der PNR-Richtlinie auf EU-Flüge durch die Mitgliedsstaaten müsse sich zudem auf das absolut Notwendige erstrecken und gerichtlich kontrollierbar sein. Die Grenzen des „absolut Notwendigen“ würden nur dann nicht überschritten, wenn sich der Mitgliedsstaat mit einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden terroristischen Bedrohung konfrontiert sehe. Liege eine solche Bedrohung nicht vor, dürften die durch die Richtlinie ermöglichten Instrumente nur für solche Flüge angewandt werden, hinsichtlich derer sich konkrete Anhaltspunkt ergäben, die eine Anwendung der Richtlinie rechtfertigen könnten. Solche Anhaltspunkte können nach Auffassung der europäischen Richter in etwa in bestimmten Reisemuster, aber auch spezifischen Flugverbindung oder bestimmten Flughäfen zu finden sein. (…)
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