Gerichtliche Erlaubnis zum Sample-Klau
EuGH und BGH gefährden den Lohn künstlerischer Arbeit
Kommentar von Dr. Unger, Fidelio in Titelschutz-Journal Deutschland Nr. 30/31, S. 2-3 sowie Österreich Nr. 8, S. 2-3, 16.07.2020
Das 3. (!) Mal wird das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG Hamburg) aufgrund diverser Zurückverweisungen mit der dem Leser bekannten Sache zu erneuter Entscheidungsfindung aufgrund Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30.4.2020 (Az. I ZR 115/16) veranlasst (vgl. bereits Kommentare Dr. Fidelio Unger: „Sampling – super sample, super save“, rundy-Titelschutz-Journal Deutschland, Nr. 44, 1.11.2016, S. 6 f.; rundy-Titelschutz-Journal Österreich, Nr. 12, 10.11.2016, S. 5, 7; „‚Zwei Takte Kraftwerk‘ – Unbedeutender Tonfetzen oder DNA des Ganzen?“, rundy-Titelschutz-Journal Deutschland, Nr. 35, 29.08.2017, S. 7; u. a.: „Keine Enteignung durch die Hintertür! Für ein Recht zu ungefragter und vergütungsfreier Benutzung der ‚Kraftwerk‘ – Musik kann kein Raum sein.“, rundy-Titelschutz-Journal Deutschland, Nr. 4, 21.1.2020, S. 6 f.; u. a.).
Aus dem Tonträger (1977) der Kläger (Mitglieder der Musikgruppe Kraftwerk) mit ihrem Musikstück „Metall auf Metall“ haben die Beklagten (Komponisten des Titels „Nur mir“) auf ihrem 1997 erschienenen Tonträger mit der Sängerin Sabrina Setlur eine neu geschaffene 2 Sekunden lange Rhythmussequenz elektronisch kopiert („gesampelt“) und in fortlaufender Wiederholung in Dauerschleife als prägenden Grundrhythmus in die Tonaufnahme des Titels „Nur mir“ einbezogen. Das Landgericht (LG) Hamburg, das OLG Hamburg und der BGH bejahten die Verletzung von Urheber-, künstlerischem Leistungsschutz- und Tonträgerherstellungsrecht.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (Az. 1 BvR 1585/13) verwies jedoch am 31.5.2016 die Angelegenheit zu erneuter Verhandlung an den BGH in der Annahme zurück, mit dem Einsatz von Samples sei eine etwaige Inanspruchnahme fremden Schaffens möglicherweise zu rechtfertigen und auch noch ohne Lizenzvergütung zwecks „Bereicherung des kulturellen Gesamtguts“ denkbar.
Sowohl der BGH in seinem Urteil vom 30.4.2020 mit Zurückverweisung der Sache an das OLG Hamburg als auch zuvor der durch Vorabentscheidungsersuchen des BGH einbezogene Gerichtshof der Europäischen Union (Große Kammer; Rechtssache C-476/17) (EuGH) in seinem Urteil vom 29.7.2019 haben die erwogenen Gründe des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union zum Erlass der Richtlinie (RL) 2001/29/EG vom 22.5.2001 unberücksichtigt gelassen (10,11) rigorose und wirksame Regelung zum Schutz der Urheberrechte und verwandten Schutzrechte als eines der wichtigsten Instrumente zu Garantie und Wahrung von Unabhängigkeit und Würde der Urheber und ausübenden Künstler; (19) strikte Einhaltung der Urheberpersönlichkeitsrechte; (30,45,33) Vorrang vertraglicher Lizenzregelung zur Sicherstellung eines gerechten Ausgleichs für die Rechtsinhaber; (44) keine Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen zulasten einer Beeinträchtigung der Verwertung von Werken oder sonstigen Schutzgegenstände der Rechtsinhaber).
Unmissverständlich und zweifelsfrei ist nach den Feststellungen des OLG Hamburg (Az. 5 U 48/05) als zweiter Tatsacheninstanz sowohl in seinem ersten Berufungsurteil (2006) als auch in seinem zweiten Berufungsurteil (2011), dass es sich bei den Takten 19 und 20 des Titels „Metall auf Metall“ um den prägenden Teil (die „Keimzelle“) dieser Tonaufnahme handelt. Hierauf weist der BGH (Urteil, Rdn. 59) konkret hin und bestätigt ausdrücklich: „… diese (sc. Tonaufnahme) besteht aus dessen ständiger Wiederholung. In dem Titel ‚Nur mir‘ ist dieser Teil der Tonaufnahme noch deutlich in seiner charakteristischen Ausprägung wahrnehmbar; er ist auch in diesem Stück fortlaufend unterlegt …(.)“ Dass die zweisekündige Rhythmussequenz der Kläger in ihrer charakteristischen Ausprägung deutlich wahrnehmbar – elektronisch kopiert von den Beklagten in ihr Lied „Nur mir“ – durch mehrmaliges Hören beider Titel vom Berufungsgericht OLG Hamburg festgestellt ist, nimmt der BGH (Urteil, Rdn. 30) mit der Anmerkung zur Kenntnis, dass revisionsrechtlich wirksame Angriffe gegen diese Feststellungen des Tatgerichts (OLG Hamburg) die Beklagten nicht vorbringen und Rechtsfehler nicht ersichtlich sind. Unstreitig also ist die klägerseits geschaffene Rhythmussequenz erkennbar von den Beklagten 1:1 entnommen worden. Weder haben sie Nutzungsrechte zur Verwendung in ihrem Lied eingeholt, noch sind Ihnen solche von den Klägern vertraglich eingeräumt worden.
Den getroffenen Feststellungen des OLG Hamburg zuwider werden Parameter des EuGH, die den tatsächlichen Sachverhalt nicht erfassen, durch den BGH (Urteil, Rdn. 77) vorgegeben. Der Schutzzweck betreffend die Werk-Schaffung und Tonträgerherstellung der Kläger sei nicht betroffen, „… wenn ein Gegenstand, der ohne alle oder einen wesentlichen Teil der in einem Tonträger festgelegten Töne zu übernehmen, nur Musikfragmente – gegebenenfalls in geänderter Form – aufnimmt, die von diesem Tonträger übertragen werden, um ein neues und davon unabhängiges Werk zu schaffen …“. Eine Neuaufnahme der Rhythmussequenz scheuen die Beklagten aus Kostengründen. Die Einholung von Nutzungsrechten an der von den Klägern geschaffenen Rhythmussequenz scheuen die Beklagten aus Kostengründen. Sie kopieren daher einfach die Rhythmussequenz per Sampling. Das BVerfG, der EuGH und durch dessen Vorgabe auch der BGH (Urteil, Rdn. 27,17) spielen mit und verleihen den Beklagten ein schützendes Deckmäntelchen. „Die Technik des elektronischen Kopierens von Audiofragmenten (Sampling)“ verfolgt auf ihrem pompösen Zug wieder zurück zum OLG Hamburg angeblich ein ehrenwertes Ziel. Denn nach Ansicht des BVerfG werde bei Zulässigkeit der Verwendung von gleichwertig nachspielbaren Samples eines Tonträgers nur generell in Abhängigkeit von der Erlaubnis des Tonträgerherstellers dem künstlerischen Schaffensprozess nicht hinreichend Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 91 bis 108). Durch diese Vorgehensweise soll doch nur ein neues Grundrecht von Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG (Grundgesetz) durch Kategorientausch via Sample-Klau zulasten des ursprünglichen Rechteinhabers manifestiert werden.
Das nunmehr erneut mit der Sache befasste OLG Hamburg ist aufgerufen, solchem Unwesen vorzubeugen.
• Dr. Fidelio Unger