Hassreden – Nein Danke
Wo sind die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit nach dem Facebook-Urteil des Bundesgerichtshofs?
Ein auf der Kommunikationsplattform Facebook von einem Nutzer hochgeladenes Video, das die Ablehnung einer männlichen Person mit Migrationshintergrund gegenüber der Kontrolle einer Polizistin zeigt, teilt der Kläger auf seinem Nutzerkonto mit dem Kommentar: „Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat……kein Respekt…keine Achtung unserer Gesetze… keine Achtung gegenüber Frauen……DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN…..DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN …KLAUEN…RANDALIEREN…..UND GAMZ WICHTIG….NIE ARBEITEN.“ Nach Löschung des Kommentars am selben Tag und Sperre des klägerischen Kontos auf „Read only-Modus“ für drei Tage auf Grundlage der seit 19.04.2018 geltenden Fassung der Geschäftsbedingungen von Facebook leitete der Kläger ein Gerichtsverfahren wegen Freischaltung des gelöschten Beitrags, u.a., ein. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg (Az.: 3 U 3641/19) entschied in seinem Berufungsurteil vom 04.08.2020, der klägerische Kommentar erfülle die Merkmale einer „Hassrede“. Die Beklagte habe die Äußerungen entfernen und obige Funktionen des klägerischen Nutzerkontos zeitweise sperren dürfen, die Gemeinschaftsstandards von Facebook hielten auch der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 I 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.) stand.
Der Bundesgerichtshof (BGH) sieht das anders. Er verurteilt in seinem Urteil vom 29.07.2021 (Az.: III ZR 192/20) die Beklagte, den oben wiedergegebenen von ihr am 10.08.2018 gelöschten klägerischen Beitrag wieder freizuschalten (Urteil, Rdn 12). Obwohl der klägerische Beitrag einen strafbaren Inhalt enthielt (!) (Rdn 41), sei die Beklagte nicht nach der Bestimmung Nr. 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 des Gemeinschaftsstandards, die eine Entfernung des Beitrags wegen Verstoßes gegen das Verbot der „Hassrede“ zulasse, nicht zu dessen Löschung berechtigt, weil vorbezeichnete Bestimmung unangemessen i.S.v. § 307 I 1 BGB den Kläger als Nutzer des Netzwerks der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (Rdn, 65, 66). Es werde in das Grundrecht des Nutzers (Kläger) auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 I 1 Grundgesetz (GG), der in sog. mittelbarer Drittwirkung auch im Privatrecht seine Wirkkraft entfaltet, eingegriffen (Rdn 66). Welch eine „Steilvorlage“, die die Gefahr der Wiederholung und weiterer Intensivierung gegenständlicher „Hassrede“ heraufbeschwört. Die dem klägerischen Beitrag immanente rechtswidrige General-Verurteilung von Migranten als abwägungsfähiges Freiheitsrecht des Klägers, ergänzt auch durch das Gleichbehandlungs-gebot als Nutzer nach Art. 3 I GG (Rdn 71 ff., 75, 76) gegenüber den grundrechtlichen Rechtspositionen der Beklagten aus Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) und Art. 5 I 1 GG bezogen auf den Kommunikationsprozess als solchen mit dem Ziel eines respektvollen Umgangs unter Vermeidung aggressiver Ausdrucksweisen und verrohten Umgangstons einzubringen (Rdn 81 ff.), erscheint problematisch. Erkennt der BGH doch selbst die Gefahr des eindeutig Migranten allgemein verunglimpfenden klägerischen Beitrags (Rdn 99): „Zum anderen steigt – worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist – mit jedem Tag, an dem ein Beitrag auf der Kommunikationsplattform eingestellt bleibt, die Gefahr seiner Verbreitung und damit im Fall seiner Rechtswidrigkeit der Perpetuierung der Rechtsverletzung.“
Ungeachtet dessen hält der BGH daran fest (Rdn 109): „Die Beklagte war auch nicht deshalb zur Entfernung des Beitrags des Klägers berechtigt, weil dieser einen strafbaren Inhalt enthielt.“ Zwar wird auf den in Betracht kommenden Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch (StGB) verwiesen (Rdn 110), jedoch seien „… bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB die aus Art. 5 I 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten.“ Bei Mehrdeutigkeit einer Äußerung haben die Gerichte „…, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen.“ Ein Ausschluss solcher Auslegungsvarianten, die nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen, sei vorliegend nicht möglich. Der durch die seitens der Beklagten erfolgten Entfernung des Beitrags „verursachte Schaden des Klägers besteht darin, dass sein Beitrag auf der Kommunikationsplattform der Beklagten nicht mehr gespeichert ist und von den anderen Nutzern nicht mehr gelesen werden kann.“ Die Beklagte sei daher zur Wiederherstellung des Beitrags verpflichtet (Rdn 111).
Mit der Verurteilung der Beklagten zur Wieder-Freischaltung des gelöschten Beitrags des Klägers erhält dieser gewissermaßen darüber hinaus eine höchstrichterliche „Anleitung“, was er bei zukünftiger Nutzung seines Nutzerkontos bei der Beklagten bezogen auf weitere Beiträge betreffend allgemeine Schmähung von Migranten zu beachten hat. Dies darf nicht sein!
Im Hinblick darauf, dass der BGH einerseits einen strafbaren Inhalt des klägerischen Beitrags bejaht (Rdn, 41, 109), andererseits in den Geschäftsbedingungen der Beklagten im Hinblick auf erfolgte Löschung eines Beitrags „ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung“ vermisst (Rdn 99), ist die unzulässige Rechtsausübung des Klägers i.S.d. tu quoque (Du auch) (unclean hands) bei objektiver Gesamtschau des gegenständlichen Falls nicht zu verkennen. Eine Rechtsgrundlage für Wieder-Freischaltung des Beitrags folgt hieraus nicht.
• Dr. Fidelio Unger, 28.10.2021