Seit 17 Jahren Metall auf Metall
Fördern höchste Gerichte Sample-Piraterie?
Nach seinen Urteilen vom 20.11.2008 (Metall I) (bezogen auf die Vorinstanzen Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) Hamburg), 13.12.2012 (Metall II) (nach Zurückverweisung an das OLG Hamburg auf Revision), seinem 1. Vorlagebeschluss vom 01.06.2017 (Metall III) (nach Urteil BVerfG (Bundesverfassungsgericht) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), seinem zurückverweisenden Urteil vom 30.04.2020 (Metall IV) (nach Urteil EuGH vom 29.07.2019) an das OLG Hamburg (vgl. bereits Kommentare Dr. Fidelio Unger: „Sampling – super simple, super safe“, Informationsdienst für Medien (rundy), 25.10.2016, Nr. 11, S. 16 f.; rundy-Titelschutz Journal Österreich, Nr. 12, 10.11.2016, S. 5, 7; „‚Zwei Takte Kraftwerk‘ – Unbedeutender Tonfetzen oder DNA des Ganzen?“,
rundy – Titelschutz Journal Deutschland, Nr. 35, 29.08.2017, S. 7; u.a.; „Keine Enteignung durch die Hintertür! Für ein Recht zu ungefragter und vergütungsfreier Benutzung der ‚Kraftwerk‘ – Musik kann kein Raum sein.“, rundy-Titelschutz Journal Deutschland, Nr. 4, 21.01.2020, S. 6 f.; u.a.; „Gerichtliche Erlaubnis zum Sample-Klau. EuGH und BGH gefährden den Lohn künstlerischer Arbeit“, rundy –
Titelschutz Journal Deutschland, 21.07.2020, Nr. 30/31, S. 2 f.; u.a.) und auf Revision der Kläger gegen das Urteil des OLG Hamburg vom 22.04.2022 (Az.: 5 U 48/05) wiederum in Anspruch genommen wendet sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem 2. Vorlagebeschluss vom 14.09.2023 (Az.: I ZR 74/22) (Metall V) erneut an den EuGH.
Nochmals zur Erinnerung: Aus dem Tonträger (1977) der Kläger (Mitglieder der Musikgruppe Kraftwerk) mit ihrem Musikstück „Metall auf Metall“ („M.a.M.“) haben die Beklagten (Komponisten des Titels „Nur mir“ („N.m.“) auf ihrem 1997 erschienenen Tonträger mit der Sängerin Sabrina Setlur eine neu geschaffene 2 Sekunden lange Rhythmussequenz („Rhythmussequenz“) elektronisch kopiert („gesampelt“) und in fortlaufender Wiederholung in Dauerschleife als prägenden Grundrhythmus in die Tonaufnahme des Titels „N.m.“ einbezogen.
Fragestellung an den EuGH: Ist die Übernahme der Rhythmussequenz aus „M.a.M.“ in „N.m.“ eine zulässige Nutzung zum Zweck des „Pastiches“ nach § 51a Satz 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) in der ab 07.06.2021 geltenden Fassung („Zulässig ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches.“) oder nicht?
Das OLG Hamburg weist in seinem vorbezeichneten Urteil vom 22.04.2022 auf die 1:1 kopierende Entnahme der Beklagten von 131 Sek. (!) (ca. 60% (!) (Rdn 140, 50) in „N.m.“; die Beklagten haben sich nicht nur den prägenden Teil, die „Keimzelle“ von „M.a.M.“, sondern im Ergebnis die ganze Tonaufnahme („nämlich ein bestimmtes Rhythmusgefüge aus mehreren, zum Teil selbstentwickelten Schlaginstrumenten“), die aus der ständigen Wiederholung dieses prägenden Teils besteht, angeeignet (Rdn 140, 70). Der EuGH hat bereits in seinem oben benannten Urteil vom 29.07.2019 deutlich vorgegeben, ein nicht rechtswidriges Sampling könne allenfalls in Erwägung gezogen werden, wenn ein geneigter Hörer das Original der Rhythmussequenz nicht wiedererkenne (dazu Rdn 121, 122, 123). Das OLG bestätigt, dass während des ganzen Stücks „N.m.“ die übernommene Rhythmussequenz, insbesondere die „metallenen Schläge“ noch deutlich wahrnehmbar sind (Rdn 113, 123). Die persönliche mit dem Gehörsinn wahrnehmbare Schöpfung und schöpferische geistige Leistung in individueller Prägung hinsichtlich der streitgegenständlichen 2-sekündigen Klangkomposition der Rhythmussequenz in klarer Abgrenzung „zu rein handwerklichem Schaffen“ wird vom OLG Hamburg mit nachdrücklicher Feststellung, dass die Gruppe Kraftwerk keine Samples verwendet (Rdn 138), überzeugend herausgearbeitet (135, 136, 137, 139) – eine neue Form elektronischer Musik, eine Klangkomposition, die 1977 noch kein musikalisches Gemeingut war (Kombination „Hammer gegen Blech“, „Hammer gegen Metallrohr“, „Metallbruchstücke in einem Metallgefäß gerüttelt“ – ein besonderer blecherner „kalter“ Klang) (Rdn 139). Der urheberrechtliche Schutz ist zweifelsfrei nachgewiesen. Ebenso die Leistungsschutzrechte der klägerischen Tonträgerherstellungsrechte (Rdn 133).
Für die beklagtenseits erwünschte Annahme eines „Pastiche“, der nach § 51a UrhG das Sampling der Rhythmussequenz aus „M.a.M.“ für „N.m.“ „absegnen“ soll, besteht keine Rechtsgrundlage. Der Begriff Pastiche bezieht sich auf die Imitation des Stils eines bestimmten Vorbilds, eines Genres oder einer Epoche (dazu Rdn 92). Der Stil als solcher ist urheberrechtlich nicht geschützt. Vielmehr muss der Pastiche eine Auseinandersetzung und weitere Entwicklung mit dem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erkennen lassen (Daselbst). Anders als bei Parodie und Karikatur erfordere Pastiche keine humoristische oder verspottende Komponente (Daselbst). Der Generalanwalt (EuGH) Szupnar weist in seinem Schlussantrag (12.12.2018, EuGH, Az.: C-476/17) ausdrücklich darauf hin, Pastiche bezeichne die Nachahmung des Stils eines Werks oder eines Urhebers, ohne dass notwendigerweise Bestandteile dieses Werks übernommen werden (Rdn 93); eine „Interaktion mit dem benutzten Werk“ müsse stattfinden (Rdn 94). Eine solche findet jedoch nicht statt, sondern die Beklagten nehmen einfach einen „Klau“ vor, indem sie schmarotzend 1:1 die 2-sekündige Rhythmussequenz von „M.a.M.“ in dauernder Wiederholung ostinatomäßig 131 (!) Sekunden lang ohne Unterbrechung in „N.m.“ hineinkopieren. Dass die Beklagten 25 (!) Jahre nach Fertigung ihres „Werks“ „N.m.“ sich in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Hamburg (dazu Rdn 97) erstmals an die Klägerseite „hofierend“ im Sinne einer beabsichtigten Hommage an das klägerische Werk und dessen Aufnahme (M.a.M.) betreffend die elektronische Kopie der Rhythmussequenz für ihr „N.m.“ gewandt haben wollen, was klägerseits wohl den Tatsachen entsprechend bestritten wurde, da zu Anfang der verfahrensgegenständlichen Prozesse, beklagtenseits eine Entnahme der Rhythmussequenz in Abrede gestellt wurde (Rdn 97), belegt den untauglichen Versuch, die Beklagten könnten ein etwaiges Pastiche durch ihre gerichtliche Einlassung fingierend generieren. Der EuGH erteilt a priori jeglicher 1:1 – Kopie eine klare und unmissverständliche Absage jeglichen Rechtsschutzes und damit auch jedem unbehelflich bemühten Versuch in Form einer Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal „Pastiche.“ Bereits das bisherige Institut der freien Benutzung nach § 24 UrhG (alte Fassung; a. F.) verneinte der EuGH selbst bei „Verblassen“ des Originalwerks (Rdn 124). Umso mehr verwirft der EuGH einen Rechtschutz bezogen auf eine 1: 1 – Kopie. (Rdn 133, 140). Nichts haben die Beklagten geleistet – weder eine Auseinandersetzung oder Interaktion geschweige denn eine Weiterentwicklung der Rhythmussequenz, sondern minimum 131 Sekunden, circa 60 % Unterlegung und Aneignung seitens „N.m.“ des prägenden Teils von „M.a.M.“ in ständiger Wiederholung.
Da der BGH konkrete Kenntnis hat, dass die berechtigten Interessen der Rechteinhaber nicht beeinträchtigt werden dürfen und ein angemessener Ausgleich zwischen Urheber und Nutzer unabdingbar (dazu Rdn 93, 95, 93), eine 1:1-Übernahme von Werkteilen via elektronischer Kopie nach Rechtsauffassung des EuGH europarechtswidrig und eo ipso ausgeschlossen sind (siehe oben), lässt die Gesetzesnorm in § 51a UrhG betreffend Dritt-Verwertung eines veröffentlichten Werks zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches, die ihre Grundlage in Art. 2 Lit. c , Art. 5 Abs. 3 Lit. k und Abs. 5 Richtlinie 2001/29/ EG (Europäische Gemeinschaft) hat, eine freie Nutzung der klägerischen geschaffenen Rhythmussequenz aus „M.a.M.“ im Beklagten-Titel „N.m.“ nicht zu. Bei Vereinbarung zwischen den Parteien einer angemessenen Lizenzgebühr und Zahlung derselben durch die Beklagten an die Klägerseite schaut es anders aus.
Der BGH hätte sich seinen 2. Vorlagebeschluss (Pastiche) vom 14.09.2023 an den EuGH „sparen“ können. Stattdessen ist die Revision der Kläger zur Stattgabe entscheidungsreif. Odysseus benötigte für seine Heimfahrt von Troja nach Ithaka 10 Jahre. Ob der BGH unter der „doppelten“ Ausführungs-Zeit zu einer angemessenen abschließenden Urteilsentscheidung bleibt?!
• Dr. Fidelio Unger, 4.10.2023