Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Nationale Marke wirkt über Grenzen
Kann ein deutscher Markeninhaber gegen einen im EU-Ausland sitzenden Onlinehändler vorgehen, wenn dieser dort rechtsverletzende Ware besitzt? Oder ist der Markeninhaber mangels Rechten in dem Land schutzlos?
Worum geht’s?
Der Europäische Gerichtshof hat am 1. August 2025 eine wegweisende Entscheidung zum Markenrecht getroffen, die das Verhältnis zwischen territorialen Schutzrechten und dem grenzüberschreitenden Online-Handel neu definiert. Deutsche Markeninhaber können unter bestimmten Umständen künftig auch Dritten verbieten, markenverletzende Waren in anderen EU-Mitgliedstaaten zu besitzen – vorausgesetzt, diese Waren sind für den deutschen Markt bestimmt.
Hintergrund des Falls
Der Rechtsstreit entwickelte sich aus einem typischen grenzüberschreitenden E-Commerce-Konflikt, wie er im EU-Binnenmarkt täglich vorkommt. Der deutsche Markeninhaber PH verfügt über eingetragene Wort-Bild-Marken für Taucherapparate und Tauchzubehör, die beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert sind. Diese Marken schützen verschiedene Produkte wie Taucheranzüge, Taucherhandschuhe, Tauchermasken und Atemgeräte zum Tauchen.
Das spanische Unternehmen Tradeinn Retail Services nutzte Zeichen, die mit diesen deutschen Marken identisch waren, um Tauchzubehör zu bewerben und zu verkaufen. Dabei bediente sich das Unternehmen sowohl seiner eigenen Website als auch der deutschen Amazon-Plattform amazon.de. Die beworbenen Waren befanden sich physisch in Spanien und wurden von dort aus an Kunden verschickt, die Verkaufsangebote richteten sich jedoch gezielt an deutsche Verbraucher.
Diese Konstellation führte zu einer komplexen Rechtsfrage: Kann ein deutscher Markeninhaber gegen ein spanisches Unternehmen vorgehen, das zwar in Spanien ansässig ist und dort seine Waren lagert, aber gezielt deutsche Kunden anspricht?
Das Landgericht Nürnberg-Fürth bejahte dies zunächst und verurteilte Tradeinn Retail Services dazu, das Anbieten und Bewerben der markenverletzenden Waren zu unterlassen. Das Oberlandesgericht Nürnberg ging noch weiter und erweiterte das Verbot auch auf den Besitz der Waren „zu vorgenanntem Zweck“ – also um sie in Deutschland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
Die EuGH-Entscheidung auf den Punkt
Der Europäische Gerichtshof entschied mit Urteil vom 1.8.2025 – Az. C‑76/24 nun zwei grundlegende Rechtsfragen, die für die Zukunft des Markenrechts im digitalen Binnenmarkt große Bedeutung haben dürften.
Die erste und wohl wichtigste Frage betraf das Verhältnis zwischen dem Territorialitätsprinzip des Markenrechts und den grenzüberschreitenden Möglichkeiten des Online-Handels. Traditionell ist der Schutz einer nationalen Marke auf das Gebiet des Eintragungsmitgliedstaats beschränkt. Ein deutscher Markeninhaber kann normalerweise nur gegen Verletzungen vorgehen, die in Deutschland stattfinden.
Der EuGH erkannte jedoch, dass diese strenge territoriale Sichtweise der Realität des digitalen Binnenmarkts nicht mehr gerecht wird. Wenn ein Unternehmen gezielt deutsche Verbraucher über deutsche Online-Plattformen anspricht, kann es sich nicht darauf berufen, dass sich seine Waren physisch außerhalb Deutschlands befinden. Der Gerichtshof argumentierte, dass sich Online-Angebote auf Plattformen wie amazon.de erkennbar an deutsche Verbraucher richten und daher dem deutschen Markenrecht unterliegen.
Diese Erkenntnis führte zu einer bemerkenswerten Erweiterung der Durchsetzungsmöglichkeiten für Markeninhaber. Wenn das Anbieten von Waren in Deutschland rechtmäßig verboten werden kann, muss konsequenterweise auch der vorgelagerte Besitz dieser Waren verbietbar sein – unabhängig davon, wo sie sich physisch befinden. Andernfalls könnten Online-Händler durch geschickte Verlagerung ihrer Lagerstandorte jeder Verpflichtung zur Beachtung von Markenrechten entgehen. Das würde die praktische Wirksamkeit des europäischen Markenschutzes untergraben.
Die zweite Kernfrage betraf die Definition des Begriffs „Besitz“ in der EU-Markenrichtlinie. Die verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie verwenden unterschiedliche Begriffe: Während die deutsche Fassung von „besitzen“ spricht und die französische von „détenir“, verwenden andere Sprachfassungen Begriffe, die eher auf Lagerung abstellen, wie das englische „stocking“ oder das spanische „almacenar“.
Der EuGH stellte klar, dass diese sprachlichen Unterschiede nicht zu unterschiedlichen Rechtswirkungen führen dürfen. Entscheidend sei, dass jede Person, die unmittelbar oder mittelbar die Herrschaft über eine markenverletzende Handlung hat, auch tatsächlich in der Lage sein muss, diese Benutzung zu beenden. Daher umfasst der Begriff „Besitz“ nicht nur die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über die Waren, sondern auch den mittelbaren Besitz durch Ausübung einer Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person, die die unmittelbare Herrschaft innehat.
Diese Auslegung hat weitreichende praktische Konsequenzen. Ein Online-Händler kann sich nicht mehr darauf berufen, dass er die Waren einem Logistikdienstleister übergeben und damit die unmittelbare Herrschaft aufgegeben hat. Solange er über vertragliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf den Lagerhalter verfügt, bleibt er als mittelbarer Besitzer haftbar. (…)
• kpw.law